Donnerstag, 9. Oktober 2014

Gesucht: Die ideale Schule

Auf der Suche nach einer Schule, die besonders innovativ in Sachen Unterrichtsmethoden, Organisation des Lernbetriebs und Unterrichtsinhalte ist, stößt man immer wieder auf die “Evangelische Schule Berlin Zentrum”.



Die “Reform-Schule mit radikalem Wandel der Lernkultur” wird in Talkshows, Presseberichten und in den Publikationen von Bildungsstiftungen als Zukunftsmodell für eine Schule mit glücklichen Schülern, leidenschaftlich engagierten Lehrern und zufriedenen Eltern präsentiert.


Als aktueller Medienliebling ist die Berliner Gemeinschaftsschule zur Musterschule der Nation avanciert. Eine beeindruckende Liste an Auszeichnungen bestätigt ihren Erfolg.

Was ist an dem Berliner Vorzeigeprojekt anders? Bis zur Klasse 10 gibt es kein Sitzenbleiben, Noten erhalten Schüler nur dann, wenn sie z.B. umzugsbedingt an eine andere Schule wechseln. Die Gemeinschaftsschule orientiert sich zwar am geltenden Lehrplan, aber die Organisation des Unterrichts hat nichts mehr mit dem Stundenplan, wie wir ihn kennen, zu tun.

Unter dem Motto: “Ich kann” statt “Du sollst” strukturieren sogenannte Lernarrangements das Wochenpensum. In Fächern mit programmatischen Titeln wie “Verantwortung” engagieren sich die Schüler in sozialen oder ökologischen Projekten der Schule oder der Kommune. Das neue Fach “Herausforderung” ermutigt Kinder, selbstgestellte Aufgaben zu bewältigen, etwa mit 150,- € in der Tasche sich von Berlin zu Fuß bis an die Ostsee durchzuschlagen.

Jeder Tag beginnt mit dem Lernbüro, wo Schüler ähnlich dem Stationenlernen individuell oder im Team Lernstoffe erarbeiten. Eine Lehrkraft steht bereit, um dort weiter zu helfen, wo es klemmt.

Der Fachunterricht im Klassenverband wird in Lerngruppen von 26 SchülerInnen von 2 Klassenlehrern/innen betreut. “Peer Education”, also die gegenseitige Unterstützung und Hilfe Gleichaltriger beim Lernen, wird gefördert. Im Werkstattunterricht treffen sich Schüler mit ähnlichen Interessen, während der Projektunterricht zeitlich begrenzte Kursangebote jenseits des schulischen Fächerkanons anbietet. Hier geht es um Methodenkompetenz und das fächerübergreifende Lernen in Zusammenhängen, wobei die Schüler die Schwerpunkte selbst festlegen.

Auch wenn es bislang wenig verwertbare Aussagen über einen belegbaren Bildungserfolg im herkömmlichen Sinne gibt, gemessen am öffentlichen Lob ist die Berliner Vorzeigeschule einer der pädagogischen Leuchttürme der Nation.

Bei einer Bildungsinstitution, über der die Sonne der medialen Zuwendung so hoch steht, fällt ein kleiner Schatten dann kaum ins Gewicht. Neben einem Pflichtbeitrag im Förderverein der Schule zahlen die Eltern für den Ganztagsbetrieb 3,5 % ihres Jahreseinkommens. Der Obulus für die Best-Practice-Schule ist gedeckelt auf einen jährlichen Elternbeitrag von 5.950,00 €.

Mit solchen finanziellen Selektionsmechanismen, die nicht so ganz in das Bild einer chancengerechten Schule passen, wird natürlich auch das Schüler/Elternklientel vorsortiert. Der Privatschulstatus bietet dann auch noch die Möglichkeit, gezielt Lehrer auszusuchen, die sich dem Schulprofil unbedingt verpflichtet fühlen und die viel Bereitschaft zur Selbstausbeutung mitbringen. Eine 60 Stundenwoche für die LehrerInnen am ESBM ist nach Aussage einer Kollegin keine Seltenheit.

Im Vergleich dazu sehen natürlich öffentliche Schulen, die in Bezug auf Organisation, Stundentafeln, Klassengrößen, Lehrerversorgung, Lehrpläne sowie den finanziellen Input für Ausstattung, Lehr- und Lernmitteln festgelegt sind, ziemlich alt aus.

Ein entscheidender Erfolgsfaktor, den man von der Berliner Pilotschule für eine Schule der Zukunft mitnehmen kann, ist die größere Individualisierung von Unterricht im Vergleich zu den Regelschulen.

Mit 13 Schülern pro Lehrer ist natürlich mehr Zeit da, auf individuelle Lernschwierigkeiten einzugehen als mit Lerngruppen von über 30 Schülern, wie sie an den öffentlichen Schulen leider nicht die Ausnahme sind.

Übrigens: Auch die beiden elitären Renommierschulen “Schloss Torgelow” (Klassengröße 12) oder “Salem” (14-22) setzen auf Schülerselektion, handverlesenes Lehrpersonal, Ausstattung von Feinsten und nicht zuletzt auf den “Bildungsfaktor” Schüler-Lehrerrelation.

Dass Schulklassen definitiv kleiner werden müssen, um Schule in der Zukunft erfolgreicher zu machen, dafür spricht auch die ziemlich banale Feststellung, dass Lernen hauptsächlich über Beziehung läuft. Wer heute als Vollzeitlehrer an einem Gymnasium zwei Hauptfächer unterrichtet, der unterrichtet in einem Schuljahr ca. 140 SchülerInnen, und bei Lehrern mit Nebenfächern sind es noch mehr.

Die in der öffentlichen Diskussion geforderte Fähigkeit des Lehrers, auf die individuelle Schülerpersönlichkeit einzugehen, und dann auch noch die individuellen Potentiale der Schüler zu entdecken, in den Unterricht einzubeziehen und Talente individuell zu fördern, stößt angesichts solcher Lehrer-Schüler-Relationen schnell an Grenzen. Auch eine Abschaffung von Noten zugunsten individueller Gutachten oder aufwändige Portfoliobewertungen anstelle von Klassenarbeiten sind nur über massive Erweiterung der personellen Ressourcen vorstellbar.

Aktuell darf man nur hoffen, dass der demographische Wandel in Bezug auf zukünftige Klassengrößen von der Politik als Chance gesehen wird und nicht dem Rotstift der Haushaltsplaner geopfert wird.

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